Unter dem Motto „Zukunftstaugliches (Um-)Bauen und Wohnen in Kirchanschöring“ lud der Stadtverein Simbach zu einem Besuch in den Landkreis Traunstein ein. Die Teilnehmenden erlebten einen spannenden Nachmittag mit dem Referenten und Diskussionspartner Hans-Jörg Birner, seit 17 Jahren erster Bürgermeister der Gemeinde mit 3.200 Einwohnern. Als Vorsitzender verschiedener Gremien wie der örtlichen ILE, des Kreisverbandes im Gemeindetag und als Mitglied der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum ist er vom Diplom-Ingenieur für Steuer- und Regelungstechnik zum leidenschaftlichen und inspirierenden Kommunalpolitiker geworden.
Treffpunkt der Gruppe war das „Haus der Begegnung“. Mit Blick auf das Gebäude erklärte der Bürgermeister den Gästen Entwicklung und Konzept: der winkelförmige Bau wurde mitten im Ort im Jahr 2018 neu erstellt, auf einem kirchlichen Grundstück auf Erbpacht-Basis.
Es sind verschiedene Nutzungen darin untergebracht:
- Barrierefreie Wohnungen für Seniorinnen und Senioren, eine ambulant betreute
- Wohngemeinschaft für Menschen mit Pflegebedarf und ein Veranstaltungsraum. Das
- Sozialbüro der Gemeinde und eine Arztpraxis vervollständigen das Zentrum in der
- Ortsmitte, nahe an Schule, Kirche und Rathaus.
Bauherr und Vermieter des Hauses ist die gemeindeeigene, extra dafür gegründete Wohnbaugenossenschaft. Die Finanzierung lief über einen Eigenanteil der Gemeinde und über verschiedene Fördertöpfe. Das Gebäude schreibt schwarze Zahlen, betonte der Bürgermeister. Obwohl die Mieten sozialverträglich im unteren Bereich liegen. Dies funktioniere gut, weil kein Investor Rendite aus dem Gebäude ziehen will.
Auch ökologisch ist das Konzept durchdacht: eine PV-Anlage mit Speicher ermöglicht eine hohe Eigenversorgung mit Strom, der auch an die Mieter vermarktet wird; geheizt wird aktuell mit Hackschnitzeln, langfristig ist Geothermie angedacht. Die Grünflächen sind mit einem hohen Anteil an Blühwiesen gestaltet. Hier ist der Bürgermeister auch selbst fürs Mähen mit der Sense zuständig. „Das dauert dann immer zwei Wochen, weil der Ratsch und die Brotzeit natürlich mit dazu gehören“.
Im Veranstaltungsraum veranschaulichte Bürgermeister Birner anschließend mit einer umfassenden Präsentation, wie das Haus der Begegnung in ein grundsätzliches Konzept zum Bauen und Wohnen in Kirchanschöring eingebunden ist. Schon zu Beginn seiner Amtszeit wurde im Rahmen einer Untersuchung festgestellt, dass der Anteil von 65 bis über 80jährigen in Kirchanschöring bis zum Jahr 2030 zunehmen würde und dass dafür ein Konzept notwendig ist. Denn „laut der Bayerischen Verfassung sind Gemeinden auch für die Schaffung von Wohnraum zuständig“.
Durch das Haus der Begegnung wurden attraktive Alternativen für Senioren geschaffen, die bisher in Einfamilienhäusern gewohnt hatten, die ihnen zu groß wurden. Diese Häuser wiederum wurden dadurch frei für junge Familien.
Das Haus der Begegnung ist nur ein Beispiel für zukunftsorientiertes Bauen in Kirchanschöring. In Kooperation mit der Direktion für ländliche Entwicklung wurde auch ein Projekt zu alternativen Wohnkonzepten mit weniger Flächenverbrauch gestartet. Das gemeinsame Bauen mit Baugruppen in Neubaugebieten ermöglicht es auch Alleinstehenden, sich Wohnraum zu schaffen. Ein sparsamerer Umgang mit der Fläche, niedrigere Erschließungskosten und mehr soziale Kontakte sind weitere Vorteile der innovativen Konzepte.
Bei der anschließenden Fragerunde und Diskussion ging es auch darum, wie solche Konzepte geplant und umgesetzt werden können. Der weitsichtige Bürgermeister stellte dar, dass viel Aufklärungsarbeit notwendig ist. Der Gemeinderat war gemeinsam unterwegs, um sich Beispiele vor Ort anzusehen.
Voraussetzung sei ganz praktisch die Berücksichtigung gemeinsamer Wohnformen in Bebauungsplänen, entscheidend seien aber Geduld und politischer Wille. Und das Mitnehmen von Bürgerinnen und Bürgern bei Entscheidungen. „Entscheidungen gehen dann nicht schneller, aber sie werden besser“.
Mit dieser Überzeugung werden bei anstehenden Fragestellungen sogenannte Bürger/-innenräte gebildet, die sich mit komplexen Problemstellungen beschäftigen. Die Methode eignet sich für Konzepte zur zukünftigen Mobilität ebenso wie für zukunftstaugliches Wohnen und Art und Weise der Kinderbetreuung. Zufällig ausgewählt Teilnehmende bearbeiten das jeweilige Thema gemeinsam mit einer externen Moderatorin für 1-2 Tage, stellen dann die Ergebnisse öffentlich vor, die nach einer weiteren Diskussion in die politische Agenda aufgenommen und mit Arbeitskreisen bearbeitet werden. Die zufällige Auswahl der Teilnehmenden beugt Politikverdrossenheit vor, nimmt viele unterschiedliche Meinungen auf und sorgt so für eine gute Verankerung in der Bevölkerung.
Anschließend an die intensive Austauschrunde war noch großes Interesse an einem Spaziergang mit dem Bürgermeister als Fremdenführer durch den Innenhof und Garten der Wohnanlage, durch den Ort mit vielen Verbindungswegen und auch zum neu gestalteten Hochwasserschutz, bei dem die Grünflächen vom Wasserwirtschaftsamt gemäht werden.
Nach einem Dankeschön an Hans-Jörg Birner durch die beiden Organisatorinnen Theresia Nüßlein, Stadtverein Simbach und Kathrin Zenger, Katholische Erwachsenenbildung Rottal-Inn-Salzach machte sich die Gruppe mit vielen neuen Anregungen auf den Heimweg. In den Autos wurde noch angeregt weiter zum Thema „Wohnen der Zukunft“ diskutiert.